Die Enttäuschung der aktiv Schulbeteiligten darüber, wie wenig das Thema Bildung für weite Teile der Landespolitik zählt, wird zunehmend von einer unbändigen Wut und teilweise auch tiefer Resignation verdrängt. Mit großer Sorge schaut die Schulwelt auf den dritten Winter@Corona und die zurzeit alles dominierenden Spar-Parolen.
Ein Aufruf in der Grundschul- und Gemeinschaftsschul-Community zu Beginn der Sommerferien fand binnen weniger Tage deutliche Resonanz. Der entstandene Weckruf wurde Anfang dieser Woche an die Verantwortlichen in der Landespolitik versandt. Lesen Sie hier die Pressemitteilung dazu:
Es reicht!
Ein Weckruf an die Landespolitik
Die Schulwelt im Südwesten geht auf dem Zahnfleisch – dazu hat die Pandemie auch kräftig, aber längst nicht alleine beigetragen. Dort wo Herzblut-Pädagog*innen im Einsatz sind, ist der Frust besonders groß – denn die viel gerühmte schulische Qualität wird mit der Gesundheit der Beteiligten und dem Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler bezahlt. Statt Qualitätsentwicklung dominiert Selbstausbeutung. Trotzdem ist kein „Strategiedialog Bildung“ in Sicht.
„Wir haben schon vor der Pandemie alles gegeben, dann kam das Virus und nun ist angesichts der multiplen Krisen keine Rede mehr davon, dass Bildung bei irgendwelchen Überlegungen eine ernsthafte Rolle spielt“, beklagt Edgar Bohn, Vorsitzender der Landesgruppe Baden-Württemberg des Grundschulverbandes.
Gemeinsam mit der Gemeinschaftsschul-Community wenden sich die Grundschulen im Südwesten nun an die Landespolitik: „Es reicht!“, lautet die klare Botschaft. Lehrkräfte, Schulleitungen, aber auch andere Beteiligte wie Schulsekretariate oder Mitarbeiter*innen der Schulsozialarbeit haben genug davon, dass das Fortbestehen des kranken Systems Schule auf ihrem Rücken stattfindet. „Die Bereitschaft engagierter Schulakteure, sich aufzureiben, wird von der Politik gerade bei den Schulen des gemeinsamen Lernens, also den Grund- und Gemeinschaftsschulen, regelrecht eingepreist“, beschreibt Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen BW e.V., den vorherrschenden Eindruck.
Um die klaffenden Versorgungslücken, die sich überall auftun, finanztechnisch möglichst geräuschlos zu stopfen, werden Schulgemeinschaften, Lehrkräften und Schulleitungen immer neue Aufgabenpakete aufgebürdet. Zum Wohle der Kinder haben die Betroffenen diese Zumutungen bisher bereitwillig auf sich genommen. Als Resultat wird ein marodes, überkommenes und zutiefst ungerechtes System trotzt ständiger Überlast tapfer aufrechterhalten. Qualitäts- oder Schulentwicklung? Findet kaum statt.
Mit ihrem Weckruf erheben die Leidtragenden dieser amtlichen Strategie ihre Stimme: Über 250 Betroffene und Beteiligte an Grund- und Gemeinschaftsschulen im Südwesten haben für zahlreiche Schulgemeinschaften den Brief zu Beginn der Sommerferien binnen weniger Tage unterzeichnet. Das Leid und die Wut sind enorm. „Wir haben es satt, dass ‚Bildung‘ in der Politik weitgehend mit ‚Abitur‘ gleichgesetzt wird, bloß weil diese Lobby besonders laut schreit“, sagt Grundschulvertreter Bohn. Soll „Auf den Anfang kommt es an“ nicht nur hohle Phrase sein, muss endlich mehr passieren als Kosmetik, so Bohn.
Der Weckruf fasst zentrale Forderungen für ein besseres und gerechteres Schulsystem zusammen. „Wir erleben an den Schulen gerade wie sich mehr und mehr Lehrkräfte innerlich und auch ganz konkret vom System Schule verabschieden – es ist nicht erkennbar, dass sich die politisch Verantwortlichen dieser dramatischen Entwicklung bewusst sind“, sagt Matthias Wagner-Uhl, der selbst seit über 20 Jahren eine Schule mit Primar- und Sekundarschule leitet, und ergänzt: „Wie lange müssen wir noch adressieren, dass dieses System kurz vor dem Kippen ist? Wie viele Kinder, Lehrkräfte und Familien müssen noch an der Schule in Baden-Württemberg verzweifeln?“
Dabei wäre der nächste Schritt so einfach: Die progressive Schulwelt erlebt Kultusministerin Theresa Schopper als zugewandte, aufmerksame Gesprächspartnerin, der das Wohlergehen der Kinder und Jugendlichen wirklich am Herzen liegt. „Es gibt mittlerweile vier (!) Strategiedialoge im Land – wo ist das große, breit angelegte Forum, das sich damit befasst, wie wir unsere Bildung endlich wieder auf Kurs bringen?“ fragen die Interessensvertreter.
Sie stehen wie schon die ganze Zeit für einen offenen und konstruktiven Austausch zur Verfügung – auch wenn es immer schwieriger wird, Leute dafür zu gewinnen, die Weiterentwicklung des Systems Schule mitzudenken: „Die Menschen sind verschlissen von den vielen Sonntagsreden, den zahlreichen Ankündigungen und leeren Versprechungen – da geht es um die Glaubwürdigkeit von Politik und darum, ob die Verantwortlichen Bildung und die an ihr Beteiligten überhaupt ernst nehmen“
Edgar Bohn, Vorsitzender Grundschulverband Baden-Württemberg (edgar.bohn@gsv-bw.de)
Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender Verein für Gemeinschaftsschulen BW e.V. (m.wagner-uhl@gmsbw.de)