Stuttgart, 19. Juli 2025
Lehrermangel hatte fatale Folgen für Grundschulen – Grundschulen brauchen jetzt nachhaltige Investitionen in Qualität, Forschung und Digitalisierung
Die im Juli 2025 bekannt gewordene Fehlkalkulation von 1.440 Lehrerstellen in Baden-Württemberg offenbart nicht nur einen gravierenden Verwaltungsmangel, sondern auch ein strukturelles Versäumnis, das sich über Jahre hinweg zulasten der Unterrichtsqualität ausgewirkt hat. Der Grundschulverband Baden-Württemberg fordert angesichts dieser Entwicklung nicht nur eine zügige Nachbesetzung der unbesetzten Stellen, sondern eine grundlegende bildungspolitische Neuausrichtung, die Qualität, Zukunftsfähigkeit und Gerechtigkeit in der Grundschule in den Mittelpunkt rückt.
1. Hintergrund: Eine Fehlkalkulation mit weitreichenden Folgen
Wie das Kultusministerium im Juli 2025 mitteilte, galten über Jahre hinweg 1.440 Lehrerstellen als besetzt, obwohl sie tatsächlich unbesetzt waren – ein Fehler, der auf eine Softwarepanne zurückgeht und bis ins Jahr 2005 zurückreicht. Diese Stellen standen dem Schulsystem damit faktisch nicht zur Verfügung. Sie hätten jedoch dringend gebraucht werden können – insbesondere in der Grundschule.
Standardisierte Testverfahren, wie etwa jüngst die IQB-Bildungstrends, zeigen zudem deutliche Probleme des Schulsystems in Baden-Württemberg bei der Förderung von Basiskompetenzen. Statt ein umfassendes Reform- und Unterstützungsprogramm aufzusetzen, fokussieren die aktuellen Landesprogramme (Startchancen und Sprachfit) lediglich singuläre Bildungsaspekte, indem Mittel vorrangig zur Förderung wichtiger kognitiver Teilbereiche (Sprachförderung, Lesen, Schreiben, Rechnen, Zuhören) verwendet werden. Gleichzeitig fehlt es an gezielter Förderung von Sachunterricht (mit MINT), sozialen und musisch-ästhetischen Kompetenzen und insbesondere die Förderung von forschend-entdeckendem, kreativem Lernen. Themen, die Grundschule lebendig machen und vor allem für Kinder mit Sprachdefiziten einen positiven Zugang zum schulischen Lernen schaffen. Insbesondere leidet unter der derzeit praktizierten einseitigen Förderung einzelner kognitiver Kompetenzen auch die Entwicklung einer positiven und gesunden Lebenshaltung. Zudem bleiben innovative Förderformate mit Digitalisierung und KI bislang weitgehend auf der Strecke – obwohl die Forschung regelmäßig auf die besonderen Potenziale sinnvoll eingesetzter digitaler Medien in der Grundschule verweist. Auch Konzepte und personelle Ressourcen für eine zeitgemäße Medienbildung – insbesondere im Kontext von Social Media und KI – fehlen bisher weitgehend.
2. Grundschulen besonders betroffen – strukturell benachteiligt
Die Situation an den Grundschulen war in den letzten Jahren durch massive strukturelle Defizite geprägt:
– Viele Lehrkräfte mussten dauerhaft über ihre reguläre Stundenzahl hinaus arbeiten.
– Stundenausfall, Vertretungsunterricht und das Zusammenlegen von Klassen waren an der Tagesordnung.
– In ländlichen und sozial benachteiligten Regionen verschärfte sich die Lage besonders.
Laut einer Umfrage des VBE meldeten bis zum Schuljahr 2024/25 sechs von zehn Grundschulen weiterhin eine unzureichende Personalversorgung. Der Grundschulverband und die GEW mahnten seit Jahren, dass die Personalausstattung an den pädagogischen Anforderungen vorbeigehe – eine Einschätzung, die durch die aufgedeckten 1.440 Stellen eindrucksvoll bestätigt wird.
3. Versäumnisse auch in der Lehrerbildung und Forschung
Ein besonders gravierender Aspekt ist die jahrelange Unterversorgung der Pädagogischen Hochschulen mit abgeordneten Lehrkräften:
– Dies führte zu Defiziten in der Praxisorientierung der ersten Ausbildungsphase.
– Die Anbindung der Lehre an schulische Realität wurde geschwächt.
– Gleichzeitig kam es zu einem Rückgang innovativer Forschung zur Unterrichtsentwicklung in der Grundschule.
Derzeit studieren viele Grundschulstudierende an den Hochschulen praxisfern häufig Fachinhalte, die auf die Sekundarstufe ausgerichtet sind, statt spezifische Fachkompetenzen und pädagogische Kompetenzen für die Grundschule zu erwerben. Damit werden nicht nur angehende Lehrkräfte unzureichend auf ihren Beruf vorbereitet, sondern auch die Weiterentwicklung der Grundschulpädagogik insgesamt behindert. Die vielfach geringe Anbindung von fachwissenschaftlichem Wissen an für die Unterrichtsdurchführung relevante Komptenzen führt nicht zur dringend notwendigen Weiterentwicklung der Unterrichtsqualität an den Grundschulen in Baden-Württemberg. Ein großes Dilemma stellt dabei auch der fehlende wissenschaftliche Nachwuchs dar, der durch die Unterversorgung an den Hochschulen entstanden ist.
4. Digitalisierung und KI: Verlorene Jahre und versäumte Chancen jetzt reparieren!
Die Erwartungen an Grundschulen, Kinder frühzeitig in Medienbildung und KI-Kompetenz einzuführen, steigen stetig. Schulische Handyverbote verhindern nicht die schädlichen Effekte eine unbegleiteten Mediengebrauchs in der Freizeit. Gleichzeitig zeigen Studien wie wichtig ein sinnvoller Einsatz digitaler Medien für das Lernen ist. Insbesondere durch KI entstehen hier besondere Potenziale für die individuelle Förderung von Kindern. Hierzu fehlt es allerdings an vielen Orten:
– an qualifizierten Lehrkräften mit entsprechender Aus- oder Weiterbildung,
– an verlässlichen Konzepten zur pädagogisch verantwortungsvollen Integration digitaler Werkzeuge,
– an struktureller Unterstützung und wissenschaftlicher Begleitung.
Die Unterversorgung hat eine Schieflage für Grundschulen erzeugt, die nun denn die unbesetzten Stellen hätten genau hier gezielt investiert werden können.
Jetzt ist die Politik gefragt, Verantwortung zu übernehmen – damit Eltern darauf vertrauen können, dass Kinder in der Grundschule nicht nur verlässlich Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, sondern auch zuverlässig betreut und als wertvolle Persönlichkeiten angenommen und gefördert werden.
